Wien als Ort der Fahrradsammler ist spätestens seit 2015 in den Fokus geraten, als die Sammlung von Michael Embacher im Dorotheum, dem noblen Wiener Auktionshaus, zum Glück nur im Wortsinn „unter den Hammer“ kam.“
Wien als Ort von Fahrradherstellern, von Fahrradmanufakturen rückt ins Blickfeld, seit Michael Zappe, Walter Schmidl, Martin Strubreiter und Werner Schuster ihr Wissen (und Teile Ihrer Sammlung) im Buch Wiener Mechaniker Räder 1930 – 1980 zusammengefasst haben. Über 100 Marken von Alpenrad bis Ziel haben die Autoren recherchiert. Den Trennstrich im Jahr 1930 zu ziehen scheint willkürlich, doch beim Erscheinen des Buches lassen sich für die gewählte Zeitspanne noch Zeitzeugen ausmachen und Dokumente ausfindig machen, die noch nicht den Weg in Archive gefunden haben.
Wenn man wie ich dem Fluch der späten Sammelleidenschaft unterliegt (in Anlehnung an ein Zitat eines mir nicht besonderes sympathischen Politikers) kann man nur vor Neid erblassen beim Lesen der Anfänge der Sammelleidenschaft der Autoren. In den 70er/80er Jahren waren die alten Räder nichts wert. Sie wurden zum Schrotthändler gebracht oder landeten von den faulen Zeitgenossen am Straßenrand oder im Wald. Das man zu der Zeit noch ganze Hänger mit den Restbeständen an Touren- und Rennrädern von Händlern oder Herstellern finden konnte scheint heute in Zeiten von ebay & Co unvorstellbar. Und doch brauchte es auch damals den liebevollen Blick eines Menschen, der den handwerklichen Wert in dem Haufen „Schrott“ erkannte. Zappe und Co hatten diesen Blick und haben nach teilweise 30 Jahren Sammelleidenschaft ihr Wissen in ein Buch gepackt. Und nicht nur das, sie haben einen enormen Rechercheaufwand betrieben, Zeitzeugen befragt und Archive durchsucht um ein möglichst vollständiges Bild der Manufakturlandschaft Wien von Fahradmechanikern aufzustellen. Ergänzt wird das Wissen durch hervorragende Fotos, die die teilweise vorhandene Detailverliebtheit der Manufakteure für den Leser nachvollziehbar machen. Man möchte in die Fotos hineinsteigen um die Rahmen zu berühren, die Finger über die Muffen gleiten lassen und die teilweise außergewöhnlich plastischen Steuerkopfschilder zu erfassen.
Die Autoren haben nicht versucht, die Artikel nach der Bedeutung der einzelnen Marken in Ihrer Zeit zu strukturieren, sondern gaben den Marken mehr Raum, über die ganz einfach mehr Information vorlag. Auch wird jeder noch so kleine Anhaltspunkt einer eigenen Fahrradproduktion aufgenommen um dem Leser ein möglichst vollständiges Bild der Wiener Fahrrdamechaniker zu geben. Auch wenn nicht sicher herauszufinden war, ob die Firma wirklich eine eigene Produktion besaß oder doch nur Räder außerhalb Wiens gekauft und mit dem eigenen Namen gelabelt wurden, finden sie Erwähnung. „Im Zweifel für den Angeklagten“ und somit für die Fortführung der Forscherarbeit.
Die detaillierten Fotos, Beschreibungen und Erläuterungen der Herstellungsverfahren im Kontext der jeweiligen Zeit machen das Buch nicht nur wertvoll für den Sammler Wiener Räder sondern lassen Vergleiche und Übertragungen zu anderen regionalen Hochburgen der Fahrradfertigung zu.
Würden alle Hochburgen der Fahrradfertigung in den letzten 100 Jahren mit dieser Akribie beschrieben, wäre die Industriegeschichte des Fahrradbaus um einige Ausführungen reicher.
Wiener Mechaniker Räder, Michael Zappe, Walter Schmidl, Martin Strubreiter, Werner Schuster. Purkersdorf 2013, Verlag Brüder Hollinek, derzeit vergriffen.
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