Der Umzug aus einer Fahrradstadt wie Bremen nach Darlington in Nordengland, kann zu einem Schock führen, wenn man Beatrice Wuppermans Beschreibung folgt. Darlington, eine 100.000 Einwohnerstadt hat sich trotz idealer Topografie und Größe nicht zu einer Fahrrad- sondern reinen Autostadt entwickelt. Die Autoren des Buches „Beauty and the Bike“ finden dort nahezu keine Radinfrastruktur vor und die kürzesten Wege werden mit dem Auto gemacht. Beatrice Wuppermann schildert im Buch nicht nur ihre Erfahrungen sondern setzt gleich ein Projekt mit Mädchen aus Darlington und Bremen auf. In ihrer Analyse musste sie feststellen, dass insbesondere Mädchen nach der Kinderzeit dort nicht mehr Fahrrad fahren. Neben der unkomfortablen Verkehrsituation gilt es in der Peer-Group als uncool. Wenn man in Darlington Fahrradfahrer sah, waren sie meist männlich und auf einem Rennrad unterwegs. Diese nahmen den Kampf mit den Autos nicht nur sportlich, sondern konnten sich auch eher der Geschwindigkeit des Verkehrs anpassen.
Die Autofahrerin in Großbritannien ist anscheinend nicht auf Fahrradfahrer eingestellt und die gesetzlichen Regeln sind es ebensowenig. Großbritannien gilt als das Vorzeigeland für Kreisverkehre, doch hat man in der Regel den Radverkehr vergessen. Die Einmündungen sind so eng, dass Fahrradfahrer vielfach geschnitten werden und es nur nicht zu Unfällen kommt, weil sich die Radfahrerinnen rechtzeitig in Sicherheit bringen. Auf den wenigen Fahrradwegen weist ein „Vorfahrt-Achten“ Dreieck den Radfahrer daraufhin, dem rechtsabbiegenden PKW die freie Fahrt zu gewähren. Ein Wunsch, den ich noch vor ein paar Tagen in einer deutschen Regional-Presse als Reaktion auf Tempo-30-Versuche zu lesen bekam. So kommt man per Rad natürlich nicht voran und die automobile Gesellschaft nicht aus dem Cockpit. Die Zahlen aus britischen Studien waren erschreckend. Mehr als zwei Drittel der britischen Gesamtbevölkerung benutzt das Fahrrad gar nicht oder nur ein Mal pro Jahr, Mädchen im Alter von 11 bis 16 Jahren fahren im Durchschnitt nur 13 Mal im Jahr Fahrrad (Jungen 45 Mal) und in der Gruppe der 17 und 20-Jährigen reduziert es sich auf 5 Mal (Jungen immerhin noch 29 Mal). Da verwundert es nicht, dass es vor den Schulen zu den alltäglichen Staus der Elterntaxis kommt.
Insbesondere radfahrende Mädchen werden von männlichen Autofahrer angemacht.
Beatrice Wuppermann und ihr Mann Richard Grassick versuchen durch ein Austauschprojekt für Mädchen aus Darlington und Bremen nicht nur den Gründen für die Fahrradabstinenz auf den Grund zu gehen, sondern machen daraus gleich ein Buch und Filmprojekt. Mangels geeigneter Mieträder in Darlington importieren sie selbst die in anderen Teilen Englands bei der Jugend beliebten Hollandräder und installierten einen Mini-Fahrradverleih. Das Projekt wurde von dem Leistungskurs Soziologie der 12. Und 13. Klasse unterstützt. So konnten Schülerinnen aus Darlington in Bremen Erfahrungen machen und umgekehrt. Die Mädchen aus Darlington nahmen erstaunt war, dass sie nicht auf Nebenstraßen ausweichen und Umwege in Kauf nehmen mussten. Für die Mädchen aus Bremen waren die Erfahrungen existenzieller, denn neben der nicht gekannten Gefahrensituation mussten sie ihr Bild vom höflichen Briten revidieren, zumindest wenn er im Auto sitzt.
2004 riefen die Autoren die „Darlington Cycling Campaign“ ins Leben, die 2009 bei Erscheinen des Buches bereits 100 Mitglieder hat. Die Stadt Darlington gibt seit 2005 für die Förderung des Radverkehrs 10 £ aus. Zeitnah zu der Kampagne wurde Darlington „Cycling Demonstration Town“.
Zum Buch gibt es auch eine DVD, die während des Projektes entstanden ist. Auch wen das Projekt bereits einige Jahre zurück liegt und die Verhältnisse in deutschen Städten sich schon etwas besser darstellt, ist auch hierzulande zu beobachten, dass die „Mama-Taxies“ deutlich zunehmen und Fahrradfahren in manchen Kreisen und Alterstufen abnimmt.
Anlass über ähnliche Projekte nachzudenken.
Beauty and the bike; Beatrice Wuppermann und Richard Grassik, Darlington 2009
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