Manchmal passt es eben. Ich hatte einen Termin in Berlin und konnte einfach einen Abend früher anreisen, um die Einladung von Alexander Lutz zum Bike Citizens Meetup anzunehmen. Wie der Zufall es wollte, geriet mir noch eine Anzeige für ein kultiges HWE Klapprad ins Blickfeld, das in Neuköln zum Verkauf stand. Also mit dem Zug ohne mein Brompton nach Berlin. Hoffentlich entspricht das Klapprad der Beschreibung und ich muss mich letztenendes doch noch ohne Rad durch die Bundeshauptstadt bewegen.
Zehn Minuten Fussweg durch Neuköln am Abend zeigen deutlich, das hier ein Wandel vonstatten geht. Häuser werden saniert, die Kneipen wechseln ihr Bild und die Mieten? Die steigen deutlich sagt Chris, der das HWE-Klapprad schon an der Haustür zur Probefahrt bereitgestellt hat. 250€ Steigerung der Kaltmiete in den letzten Jahren sind mehr als 50%.
Die kurze Probefahrt um den Block überzeugt mich, mit diesem Klapprad komme ich kreuz und quer durch Berlin. Das nicht funktionierende Rücklicht ersetze ich kurzerhand durch ein mitgebrachtes Stecklicht und los gehts durch die Berliner Nacht nach Kreuzberg zum Bike Citizens Meetup. Bis dahin sind noch sechs Kilometer durch Straßen und Grünflächen zurückzulegen, die aber dank der Bike Citizens App weitestgehend über Nebenstraßen führen. Und dennoch spüre ich langsam aufkommende Aggression, wie sie mich häufig befällt, wenn ich in Berlin mit dem Rad unterwegs bin. Radstreifen sind zum Parken in zweiter Reihe da und die Übergänge vom Hochbord auf den Radfahrstreifen kann man prima nutzen, um den Reisebus abzustellen. Man bekommt schnell Gelüste, mindestens einen der Reifen der Ignoranten von der Berliner Luft zu befreien. Aber schnell weichen diese Gedanken, da ich mich nicht auf das Niveu dieser Verkehrsarroganten begeben möchte, für die die Stadt nur zum Autofahren und -parken da ist. Auch die beiden Beinahe-Unfälle durch Autofahrer die aus Seitenstraßen ziehen, überlebe ich.
Wie schön leuchtet plötzlich das Licht aus dem Veranstaltungsraum an der Spree. Das Kapprad darf mit rein und sich etwas beschämt neben die Brommis gesellen.
Alex empfängt mich und erläutert, wer alles da ist. Es wird schnell klar, das ich am Abend wohl nicht mit allen interessanten Leuten zum Thema Rad werde sprechen können. Mit jedem Bier und jedem, der durch die Bike Citizens Crew geschmierte Brote ergeben sich neue Gesprächsgruppen. Ein kurzer Talk mit „Radelmädchen“ Juliane und schon bin ich im Gespräch mit Vertretern der Berliner Wirtschaftsförderung, die das Thema Fahrrad für sich entdeckt haben. Spannend auch das Projekt des Tagesspiegels, der mit einem Team eine App entwickelt hat, mit der Abstand und Geschwindigkeit der eine Radfahrerin überholenden Autos gemessen werden kann. Wichtige Erkenntnisse, die aus Vermutungen Fakten machen, damit aus dem „so schlimm kann es nicht sein“ bis zu „lebensgefährlich“ messbare Ergebnisse für planerisches Handeln werden. Wir diskutieren darüber, wie die Arbeit der Akteure in Berlin in andere Städte übertragen werden kann.
Während dessen laufen in der Projektion die Heatmaps der stärkstgenutzten Fahrradtouten in Städten von Amstderdam über Berlin bis Osnabrück ab. Danke Alex für dieses kleine Bonbon, das mir alle paar Sekunden deutlich wird, wo unsere Radfahrerinnen am häufigsten unterwegs sind. Wir kommen wieder auf das Thema Kommunikation, das von manchen Politikern beim Radverkehr am liebsten unterbunden wird (baut mal lieber Radwege für das Geld). Dabei sind die Befürworter des Motorisierten Individualverkehrs auf diesem Gebiet besonders kreativ. Von der Autoindustrie, die dem SUV-Fahrer suggeriert „ Die Stadt gehört dir“ (Volvo) bis zu den Verbänden, die gerne volkswirtschaftliche Verluste errechnen und veröffentlichen, sobald dem MIV Raum genommen wird, spielen sie gekonnt auf dieser Klaviartur. Hier politisch gesteuert, dem Radverkehr Kommunikationsmittel zu untersagen, kommt einer durch Räte verordnete Meinungseinschränkung gleich. Gute Taten für Radverkehr und ÖPNV benötigen klare Worte, wie sich auch Autos sich nicht ohne Werbung verkaufen lassen.
Eigentlich war Carina Heintz vom Velotaxi Berlin schon auf dem Sprung, aber dann sprechen wir doch noch eine gaze Zeit über Konzepte und die Möglichkeit Velotaxis auch in Osnabrück zu probieren.
Annette Blum von Velophil macht mir zum Schluß wieder Lust auf Reiseräder und wir verabreden einen Besuch in Alt-Moabit bei einem meiner nächsten Besuche in Berlin.
Für mich gehts nun mit dem Klapprad der Heidemann-Werke aus Einbeck zurück zum Mehringdamm. Als ich auf der Fahrt ein Nachtfoto vom Klapprad machen will, werde ich von einem freundlichen Polizisten darauf hingewiesen, dass das Anschließen von Rädern hier nicht erlaubt sei. Ich hatte mir gerade eine Laterne vor der Synagoge ausgesucht. Es ist traurig, das in unserer Gesellschaft selbst Fahrräder als potenzielle terroristische Bedrohung eingestuft werden müssen, da manche Menschenmit dem Begriff Toleranz nicht umgehen können.
Das nächste Foto auf dem Klappradritt durch Berlin entsteht an den immer zahlreicher werdenden Parklets. In der Bergmannstraße erobern diese nach und nach den Raum für die Menschen zurück.
Endlich im Hotel angekommen und das HWE im Kellergang verstaut gönne ich mir noch ein Nacht-Dessert um die Gedanken aus den vielen Gesprächen zu ordnen.
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