Pünktlich zu Ostern lag das neue Heft von Bicycle Quarterly bei mir im Briefkasten. Gerade passend, um in diesen Zeiten der Reduzierung der Freizeitaktivitäten ein wenig Fernweh zu schnuppern. Jan Heine hat in seinem Magazin wieder eine hervorragende Mischung aus Reiseberichten, Fahrradtest, Factory Visit, Berichten über historische Räder und Personen zusammengestellt und all das gefüllt mit hervorragendem Fotomaterial.
Der Reisebericht von Karen Yung über eine Tour durch Peru entführt in eine Region, die ich sicher so schnell nicht erreichen werde. Einerseits, weil sie natürlich von Europa nicht als erstes Ziel einer Bike-Packing-Tour auf der Hand liegt und zweitens, weil sie in Höhen führt, die eine Kondition voraussetzt, die zumindest ich nicht habe. Doch die Fotos der Story von Dolnatray Nieva geben hervorragende Einblicke in die Anden Perus.
Näher liegt mir dann schon Jan’s 400-Meilen-Tour entlang der Cascade Mountains in Oregon, auch wenn ich für die Strecke nicht ein Wochenende sondern eine Woche gebraucht hätte. Aber davon unabhängig eine abwechslungsreiche Tour über Gravel-Roads, Singele-Tracks und Straßen. Die Gruppe von fünfzehn Fahrer bewältigt die Tour in einem Wochenende und Jan beschreibt immer wieder, wie er der Gruppe hinterherjagen muss, weil er einen Fotostopp eingelegt hat. Auch bei diesem Tourbericht kommen die Materialfragen nicht zu kurz. Die 54er Reifen, die er fährt, laufen hervorragend auf den Schotterwegen. In Kombination mit seiner Wahl, sein Packing ausschließlich am Lenker unterzubringen, lassen sie ihn jedoch auf den Singeltracks ins Hintertreffen geraten.
Ein ausführlicher Materialtest stellt die Tour mit dem 2020er Horse All Road Elite dar. Mitten im Dezember startet er zu einer Testtour durch die Ausläufer des Kaskadengebirges. Steile kurze Anstiege, matschige Wege und Gravelstrecken sind die richtigen Voraussetzungen um das „Horse“ zu testen. Horse Bikes werden uns hier in Europa wohl selten über den Weg laufen – sorry – fahren. Thomas Callahan begann 2007 mit dem Rahmenbau mit dem Ziel nützliche wie schöne Rahmen zu bauen. Die Firma aus Brooklyn NY entwickelte sich zur führenden Manufactur für Steel Bikes.
Eine andere Manufaktur ist schon zehn Jahre länger im Geschäft. 1997 haben sich vier ehemalige Mitarbeiter von Merlin Bikes entschlossen sich selbständig zu machen. Von Merlin brachten sie ihr knowhow in Umgang mit Titan mit und bauen seither Titan-Custom Bikes. Die Fotos von Natsuko Hirose lassen einen teilhaben am Handmade-Rahmenbau.
Doch am meisten haben mich wieder die Artikel über Vintage Räder und Persönlichkeiten der Fahrradgeschichte interessiert. Jan Heines `52 er René Herse Randonneur, gebaut aus Reynolds 531, fasziniert mit wunderschönen Details. Wenn man sich die Detailfotos ansieht, kann man Jan verstehen in seiner Begeisterung für die Konstruktionen von René Herse. Das diese fast 70 Jahre alte Rahmen immer noch beispielgebend ist für heutige Konstruktionen, wird im Vergleich mit dem 2020er Rene Herse-Modell deutlich.
Stutzig wurde ich bei der Überschrift zu dem Bericht über Paulette Porthault. Als Lebensdaten wurde 1913 – 2019 angegeben. Ich habe erstmal gegooglelt ob hier nicht ein Druckfehler vorliegt. Doch es stimmte. Paulette Porthault ist am 24.Juli letzten Jahres im Alter von 105 Jahren verstorben. Eine spannende Story über eine faszinierende Frau, die bis ins hohe Alter ihrer Liebe zum Fahrradfahren treu blieb. Sie war begeisterte Cyclotouristin, machte in den 30er Jahren lange Touren in die Schweiz, Österreich, Jugoslawien und nach Italien, fuhr im besetzten Frankreich Tandem-Rennen als Stoker von Jean Dejeans und für nach dem Krieg weiter für Herse. Als sie mit Fünfundsiebzig den Galibier hochfuhr, wollten Autotouristen, die sie auf dem Gipfel traf ihr das Alter nicht glauben. Sie musste erst ihren Pass zeigen um zu überzeugen. In einem Interview mit Jan Heine kurz nach Ihrem Neunzigsten gestand sie, dass sie nun nur noch kürzere Touren bis 40 km machen würde. Ein Leben für das Fahrrad.
Weitere Stories über Frank Berto und den Rahmenbauer René Andre, ein Besuch bei Kato-Cycles in Japan und Natsuko Hirose’s Vorliebe für Topografische Karten als Basis der Tourplanung ergänzen das breite Spektrum des Heftes. Letzteres kann ich übrigens gut nachvollziehen. Haben mich doch die Darstellung in topografischen Karten schon immer fasziniert und Bilder, über die mit dem Finger auf der Karte verfolgten Wege, produzieren lassen.
Das Heft ist ein geballtes Lesevergnügen, nicht nur in diesen Tagen der Reduzierung der Außenkontakte.
Bycycle Quarterly No. 71
Herausgeber Jan Heine
1 year 60$ for Europe
www.bikequarterly.com
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