My Collection #06: Crescent 1898

„Crescent 1898“ könnte auch ein Whisky oder alter Cognac sein. Allerdings nicht bei mir, da ich beides nicht mag. Aber mal von Anfang an.

Anfang eins:
Adolph Schöninger wurde am 20. Januar in der süddeutschen Stadt Weil geboren. Nachdem er liberalen Meinungen ausgesprochen hatte, musste er 1854 in Begleitung seines jüngeren Bruders nach Amerika emigrieren. Sie gingen zuerst nach Philadelphia. Obwohl er sofort eine Anstellung fand, war er im Jahr 1857 bestrebt, sich selbstständig zu machen. Das Unternehmen war von Anfang an ein Erfolg. Er interessierte sich intensiv für die sozialen Aktivitäten von Philadelphia und war bald in der Geschäftswelt und in sozialen Kreisen bekannt und hoch angesehen.

Bei Ausbruch des Bürgerkriegs trat Schöninger in die 75. Company of Pennsylvania Volunteer-Regiment ein, dessen Befehl ihm anvertraut wurde. Als er 1864 nach Philadelphia zurückkehrte, musste er feststellen, dass sein Geschäft stark zurückgegangen war. Er ging nach Chicago und wurde Leiter einer Spielzeugfabrik, die sich unter seiner fähigen Führung stark entwickelte. Bei dem „Großen Brand“ in Chicago vom 8. bis 10. Oktober 1871 wurde seine Fabrik völlig zerstört und Schöninger war wieder mittellos.
Diesmal jedoch kam ihm ein europäisches Bankhaus zur Hilfe und stellte Mittel zur Verfügung, damit er seine Fabrik wieder aufbauen könnte. Das Angebot wurde angenommen, die Arbeit eilte, und im Januar 1872 drehten sich die Räder der Fabrik wieder und nichts stoppte seinen Erfolg. Adolph Schöninger wurde der erste Präsident der Western Wheel Works, die später ausschließlich Fahrräder herstellte.

Western Wheel Works war zuerst Lizenznehmer des mächtigen Albert Pope mit seinen Columbia Bicycles. Doch Schöninger rationalisierte weiter. Mittels Blechpressen baute Schoeninger eine neue Fertigung auf. Er entwickelte sich mit seinen Ideen und den Ideen seiner Schwiegersöhne zum „Henry Ford“ der Fahrradindustrie.,
Mittels spanloser Press-, Stanz- und Tiefziehtechniken konnte der Preis der Räder weiter massiv gesenkt werden was zur weiteren Verbreitung der Crescent Räder führte.
An Schöningers Seite war Robert Coleman für den Verkauf zuständig. Seine Fähigkeiten den Absatz zu steigern führte zu einem weiteren Aufstieg der Western Wheel Works. 1896 schließlich übernahm Coleman mit 1200 Arbeitern die Firma und produzierte fortan zweihundert Fahrräder pro Tag. Damit waren die Western Wheel Works die größte Fahrradfabrik der Welt.

1903 verschwindet Coleman’s Name aus den Unterlagen. Schoeninger selbst war bereits 1900 verstorben. 1905 wird dann die Produktion eingestellt. Andere Quellen geben bereits 1900 als das Jahr der Insolvenz an.

Parallel dazu nahm natürlich auch die Fahrrad-Massenherstellung in Europa fahrt auf. 1894 begann die „Aktiebolaget Amerikansk Cycle Import“ von Eli Pettersson & August Lindblad in Stockholm den Import der Crescent Fahrräder aus den USA auf. Nach der Produktionseinstellung in den USA kauften sie den Namen Crescent und konnten 1908 das erste in Schweden hergestellte Fahrrad präsentieren. Seit dem gibt es die Marke Crescent in Schweden.

Anfang zwei:
Aber wie kam denn nun ein Crescent Tandem aus den USA zu mir? Ein Fahrrad des 19. Jh. war schon seit einiger Zeit ein großer Wunsch, ein Rad aus der Zeit der ersten Diamant-Rahmen-Generation, die auch noch eine gewisse Altagstauglichkeit besitzen. Ich beobachtete verschiedene Auktionen in England und den USA, um jedoch immer festzustellen, dass die erzielten Preise mein Budget regelmäßig überschritten. Die Schätzpreise des Auktionators wurde regelmäßig deutlich übertroffen. Eines Freitagabends dann entdeckte ich nicht einfach nur ein Fahrrad aus der Zeit sondern ein Tandem, zudem noch mit einer kuriosen Konstruktion. Dazu muss ich etwas in die Tandem-Geschichte der Zeit ausholen. Tandems waren in den 80er/90er Jahren des 19. Jh. in England und den USA sehr beliebt. In verschiedenen Veröffentlichungen über die Entwicklung des Rades wird die Bedeutung für die Emanzipation hervorgehoben. Tandems mit gemischten Rahmen sind somit eine Art abgeschwächte Emanzipationsform, da sie von Paaren genutzt wurden. Schon wegen der damaligen Damenmode war somit ein Kombination aus Damenrahmen, in der Regel ein Looprahmen, und dem klassischen Herren-Diamantrahmen nötig. Nun begann in den USA wohl die Diskussion, an welcher Position sich der Damenrahmen befindet. Eine Fraktion war der Meinung, dass die Frau nicht vorne sitzen könne, da man ihr nicht zutraute lenken zu können. Die Fraktion der Gentleman gab zu bedenken, dass die Frau nicht hinter dem Mann positioniert werden könne. Schließlich würde durch das breite Kreuz des Mannes (Wunschdenken!) ihr die Sicht auf die schöne Landschaft genommen. Die Industrie löste diesen Konflikt indem sie den Damenrahmen zwar nach vorne setzte aber den Lenker mittels einem Lenkgestänge mit dem hinteren Rahmens verband, so dass der Mann die Lenkfehler der Frau ausgleichen konnte.

Meine Erfahrungen mit Geboten in den vorangegangenen Monaten war, dass die Räder der Zeit zwischen 1880 und 1910/20 meist deutlich über dem Schätzwert des Auktionshauses weggingen. Also bot ich einfach mal dreist 100$ unter dem Schätzpreis und vergaß für die nächste 36 Stunden das Gebot. Als ich dann am Sonntagmorgen meine Mails durchsah, traute ich meinen Augen kaum. „Congratulations. You have won the auction.“ Nun musste ich 1. meiner Frau etwas beichten und 2. herausfinden wie man ein Tandem von Chicago nach Deutschland bekommt.
War das Erste einfacher als gedacht, stellte sich das Zweite dafür um so komplizierter dar. Das Auktionshaus bat mich freundlich das Objekt zu bezahlen und innerhalb der nächsten Tage doch bitte abzuholen. Sollte ich Fragen haben, seien sie gerne behilflich. Die Hilfe nahm ich gerne an und bekam den Kontakt zu einem Tischler, der mir das Rad verpacken würde. Soll es per Schiff oder mit dem Flugzeug geschickt werden? Das doppelte Stahlross als Luftfracht stellte ich mir sehr teuer vor also wählte ich den Seeweg. Nur um diesen musste ich mich selber kümmern. Nun hatte ich beruflich mit einigen Logistikern zu tun. Also rief ich den Geschäftsführer einer Spedition an auf deren LKW’s mit „World-Wide-Logistic“ geworben wird. Sein Mitarbeiter machte mir freundlich aber bestimmt klar, dass sie mir gerne behilflich wären, wenn ich einen Container mit Fahrrädern zu versenden hätte. Für ein einzelnes Stück wären sie zu groß. Also wand ich mich an den nächst Kleineren. „Chicago“? Innerhalb Europas könne er mir wohl helfen, aber USA…

Nächster Ansatz ein Geschäftspartner in Hamburg. „Sie haben doch bestimmt Kontakt zu jemandem der mein Problem löst?“ Hatte er, denn seine Frau organisierte „Relocations“ von Geschäftsleuten die mit Hab und Gut aus den USA zurück nach Deutschland wollten. In einem der Container würde mein Tandem schon als Beipack hineingehen. Nur leider war es wohl eine etwas flaue Zeit für das Geschäft. Zumindest hatte sie nach ein paar Wochen noch keinen Container-Beipack-Auftrag für mich zu bieten. Langsam drängte der Tischler, da ihm die Kiste etwas im Wege sei. Ach ja, die Kiste. Ich habe gelernt, dass man nicht einfach eine Kiste zimmern kann sondern die Hölzer den Einfuhrbestimmungen des Ziellandes entsprechen müssen. Kurios dabei ist, dass die verwendeten Hölzer für den Versand von Chicago nach Deutschland auf keinen Fall für einen Rücktransport geeignet sind, da sie nicht in die USA eingeführt werden dürfen. Aber der Tischler wäre kein guter Tischler wenn er nicht gute Kontakte hätte. Und die hatte er zu einer Spedition, die meine Kiste per Seefracht für 480$ von Chicago nach Hamburg brachte. Das Hamburger Büro war ebenfalls sehr hilfreich, erledigte die Zollformalitäten (reingucken in die Kiste 200€) und organisierte den Transport in meinen Wohnort. Knapp drei Monate nach der Auktion stand das Tandem nun bei uns. Es war nach amerikanischer Manier auf „ladenneu“ restauriert, schwarz mit grüner Linierung und auf Hochglanz polierten Nickelkomponenten. Nun müssen wir nur noch fahren lernen und nicht all zu oft in unterschiedliche Richtungen lenken.

Summary
The German emigrant Adolph Schöniger came to Chicago via several stations and took over the management of a toy factory in 1866. In the great fire of 1871 his work was completely destroyed and he was penniless. With the help of a European bank, he was able to rebuild the factory and soon specialized in bicycles. The Western Wheel Works soon became the largest bicycle manufacturer in the world with their Crescent brand wheels due to rationalizations in the manufacturers. After Schöninger’s death in 1900, the company was liquidated. In 1905, the Swedish importer of the bikes took over the naming rights and Crescent bikes have been built in Sweden ever since.

My bike is an 1898 tandem that I bought at an auction in Chicago. The special feature is that the handlebars of the front women’s frame are connected to the rear men’s frame by means of a steering linkage. The bike arrived in a wooden box after almost three months and a lot of organization.

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